Blick über den Tellerrand: wo ein Franken weit mehr ist als ein Franken.

Im September 2022 war Wohnbaugenossenschaften Zürich Gastgeber des 2. internationalen Cooperative Housing Symposiums in Zürich. Der Blick über den Tellerrand und der internationale Vergleich haben sich in vielerlei Hinsicht gelohnt. So wurden nicht nur nachahmenswerte Ansätze aus aller Welt präsentiert, sondern es zeigte sich auch, dass sich die Unterstützung des gemeinnützigen Wohnungsbaus durch Schweizer Franken im Ausland multiplizieren lässt.

Hier – im Rückblick – ein paar Anregungen.

Fast wie in der Schweiz
Auf den ersten Blick präsentiert sich die Kooperative „Sostre Civic“ aus Katalonien in vielerlei Hinsicht ähnlich wie eine Schweizer Baugenossenschaft. Ein rückerstattbares „initial investment“ (Anteilscheine) und eine „stable monthly fee“ (Kostenmiete) klingen uns doch sehr vertraut. Schaut man sich die Details etwas genauer an, entdeckt man jedoch Unterschiede in der Organisation dieser katalanischen Initiative, die 2004 startete. So ist jedes der 17 bisher initiierten Wohnbauprojekte eine finanziell und verwaltungstechnisch vollkommen autonome Eigeninitiative, während „Sostre Civic“ lediglich als Dachorganisation dient. Das Modell der Selbstverwaltung sieht auch das aktive Mitwirken aller Mitglieder in mindestens einer von acht Themengruppen vor. Bei dem am Symposium vorgestellten Projekt „Cireres“ wurde das Land von der Stadt Barcelona aufgrund eines Ausschreibungsverfahrens für 75 Jahre an die Kooperative abgetreten – Baurechtszins: symbolisch!
Kontakt und Information zu Sostre Civic >

Organisations- und Entscheidungsprozesse als Gesellschaftsspiel
Das Durchlaufen von Organisations- und Entscheidungsprozessen gehört auch hierzulande für jede Wohnbaugenossenschaft zur anfänglichen und periodisch wiederkehrenden Aufgabe. Das solche Prozesse auf durchaus spielerische Art, effizient und zielführend gestaltet werden können, war dagegen eine der grossen Entdeckungen dieses Symposiums. Das von der Liverpooler Confederation of Cooperative Housing entwickelte Kartenset „Wayshaper“, welches die einschlägigen Themen und Entscheidungsprozesse rund ums gemeinschaftliche Wohnen intelligent und über die Priorisierung von Optionen ordnet, hilft dabei, Zielkonflikte frühzeitig zu erkennen und zu verhandeln. Das innovative Werkzeug dient als Prozess- und Anti-Brandbeschleuniger, die Kosten dafür sind, besonders im Vergleich zu jahrelangen Irrwegen, höchst bescheiden. „Wayshaper“ ist (nicht nur) für jede Baugenossenschaft in Gründung zu empfehlen.

Mehr als Wohnen? – Viel mehr…
Eins und eins gibt mehr als zwei – dies gilt für viele der am Symposium gezeigten Projekte, wo günstiger Wohnraum zwar das Hauptanliegen bildet, gleichzeitig aber auch Lösungen für eine ganze Reihe anderer Probleme liefert. Insbesondere die von Legacoop Abitanti aus Italien vorgestellten Projekte gehen über das reine Angebot an günstigem Wohnraum hinaus und integriert konsequent benachteiligte Gruppen in die geschaffenen, baulichen und sozialen Strukturen. So enthalten diese Siedlungen zum Beispiel Wohngruppen einschliesslich Kindergarten für Kinder und Jugendliche ohne stabiles Elternhaus oder ein Anteil von 50% Migrant:innen aus 19 Ländern, auf „Sharing-Economy“ basierende Wohngemeinschaften für Studierende und Jugendliche in Ausbildung oder 10% aller Wohnungen für körperlich behinderter Menschen.

…und keine Frage des Massstabs
Die Projekte von „urbaMonde“, hauptsächlich im Senegal und in Nicaragua sowie von „Community Architects Network Asia“ bzw. „ACCA – Asian Coalition for Community Action“ in ganz Asien scheuen sich nicht vor Herausforderungen im ganz grossen Massstab. Anstelle des üblichen Top-Down-Ansatzes wird bei der Stadtplanung eine Herangehensweise gewählt, bei der die Bewohnenden als Subjekte und Treiber der Stadtentwicklung figurieren mit dem Ziel, nachhaltigere, inklusivere und robustere Städte und Gemeinden zu fördern.

Als sozio-ökonomischen Makro-Massstab lassen sich auch die Projekte des ETH-Wohnforums und der osteuropäischen MOBA interpretieren: Bei dem vom „ETH Wohnforum“ vorgestellte Projekt “Negotiating Space for Cooperative Housing in post-conflict Colombia” dient Wohnungsbau, nach jahrzehntelangen bewaffneten Konflikten in Kolumbien, für nichts Geringeres als die Wiedereingliederung von ehemaligen Kämpfern in die Gesellschaft. Gleichzeitig ermöglicht die Mitwirkung von Studierenden eine realitätsnahe und sinnstiftende Form der Forschung und Lehre.
Mit dem Ziel, Wohnraum im Gemeinschaftseigentum zu schaffen, arbeitet MOBA – ein Netzwerk von Wohnbau-Kooperativen aus Serbien, Ungarn, Slovenien, Tschechien und Kroatien – in einer konfliktgeladenen Region über nationale und kulturelle Grenzen hinweg und hat dabei grundlegende strukturelle und finanzielle Herausforderungen zu überwinden.

Grosse Hebelwirkung mit Solidarität über die Landesgrenzen hinaus erzielen
Fonds de Roulement sind ein wichtiges Instrument bei der Finanzierung des kooperativen Wohnens. Einige der am „Cooperative Housing Symposium“ in Zürich vorgestellten Projekte haben genau die Äufnung solcher Fonds zum Ziel. Je nach Region kann ein Franken aus der Schweiz eine bis zu fünfzig Mal grössere Wirkung erzielen, als diese hierzulande möglich wäre.

Beispiel MOBA: Ermöglichungsplattform für Südosteuropa
MOBA ist ein innovatives Netzwerk von Wohnbaugenossenschaften in Zentral- und Südosteuropa. Über nationale Grenzen hinweg arbeiten die fünf MOBA-Mitglieder aus Belgrad (Serbien), Budapest (Ungarn), Ljubliana (Slovenien), Prag (Tschechien) und Zagreb (Kroatien) an genossenschaftlichen Pionierprojekten und gehen in Osteuropa in mehrfacher Hinsicht neue Wege. In einer Region, in welcher das private Wohneigentum als Modell vorwiegt, für immer grössere Teile der Bevölkerung aber nicht mehr erschwinglich ist, verfolgt das MOBA-Modell in erster Linie das Ziel, Wohnraum im Gemeinschaftseigentum zu schaffen. Kooperatives Eigentum beinhaltet dabei den gesamten Prozess, von der gemeinsamen Entwicklung, der gemeinsamen Finanzierung, bis zum gemeinsamen Unterhalt und Betrieb.
Zur Finanzierung der Pionierprojekte hat MOBA einen Fonds de Roulement ins Leben gerufen. Mit Spenden, aber auch mit nicht verzinslichen Kapitalanteilen (à 500 Euro) von assoziierten Mitgliedern will MOBA bis Ende 2023 den Fonds mit einer Million Euros ausstatten. Als assoziierte Mitglieder figurieren bis jetzt World Habitat, urbaMonde sowie Cooperative for Ethical Financing.
Kontakt und weitere Informationen: Zsuzsi Posfai, Ana Dzokic / info@moba.coop

urbaMonde
urbaMonde wurde 2005 in der Schweiz und 2015 in Frankreich gegründet. Lokal und international fördert die Non-Profit-Organisation Bewohnergruppen, die selbst initiierte und gemeinschaftlich geführte Wohnbauprojekte umsetzen und Ihre Gemeinden nachhaltiger und inklusiver gestalten. Nebst technischem Support, leistet urbaMonde Unterstützung in Bezug auf Partizipation und Selbstverwaltung, soziale Integration sowie den Zugang zu Land und zu ethischer Finanzierung.  Nebst den beiden Hauptprojekten im Senegal und in Nicaragua begleitet urbaMonde Projekte in Europa, Afrika, Asien sowie in Zentral- und Südamerika.Für die Projekte im Senegal und in Nicaragua hat urbaMonde lokale Fonds-de-Roulement aufgebaut und diese mit Mittel versorgt. Mit Spendengeldern sollen diese weiter geäufnet sowie neue Fonds für Projekte in anderen Regionen ins Leben gerufen werden.  Spenden können auf Wunsche einem spezifischen Projekt zugeführt werden.
Kontakt: Léa Oswald und weitere Informationen >

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