Jugendliche in Genossenschaften: mitwirken statt nerven

Zum Auftakt der neuen Impuls-Veranstaltungen der Kommission Gesellschaft & Soziales (GESKO) von Wohnbaugenossenschaften Zürich stand das Thema «Dialog statt Puff – Jugendliche in Genossenschaften» auf dem Programm. Es zeigte sich, dass «Jugendpartizipation» für viele Genossenschaften Neuland ist, Gesprächsstoff für Grundsatzdiskussionen liefert und die Mitglieder – Vorstände, Geschäftsstellen und Bewohnende – auch angesichts des hohen Anteils an jugendlichen Bewohnenden ihre genossenschaftlichen Strukturen in dieser Hinsicht überdenken sollten.

Zickzackbiographie und schnell wechselnde Interessen
Als Ausgangslage umriss Martin Biebricher, Dozent für soziale Arbeit an der ZHAW, mit seinem kurzen Input-Referat «Jugend» die verschiedenen Phasen und Übergänge in der Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen. Er wies auf die schwierigen Aufgaben hin, die ein:e Jugendliche:r in dieser Zeit zu bewältigen hat, und erklärte, mit welchen Ansprüchen der Erwachsenen sie oder er dabei konfrontiert wird. Auf der sozialen Ebene sind dies die Aspekte «Qualifizieren», also der Wissenserwerb, dann die Fähigkeit, sich zu binden, «Konsumieren» und wohl nicht zufällig erst zu guter Letzt das eigentliche «Partizipieren». Er wies speziell darauf hin, dass Jugendliche sich und die Welt ausprobieren, Trial and Error also eine wichtige Rolle in ihrem Werdensprozess spielen und dass dieser Zickzackkurs im Widerspruch zur Zielstrebigkeit Erwachsener steht. Auch räumte er ein, dass man von Jugendlichen bei ihrer Teilnahme an langwierigen Prozessen viel Solidarität erwarte, da sie – der Jugend schnell entwachsen – kaum mehr von den Früchten ihrer Arbeit profitieren würden.

Genossenschaften als Vorreiter direkter Demokratie
In ihrer Bachelorarbeit stellten Thomas Achermann und Andrej Lehmann einige Dinge klar: zum einen die hervorragende Eignung von Genossenschaften, den Jugendlichen das Prinzip der Demokratie näherzubringen, zum anderen die Pflicht der Gesellschaft, Kindern und Jugendlichen im Rahmen ihrer Möglichkeiten Mitwirkungsrechte einzuräumen. Sie mussten bei einer Umfrage bei Wohnbaugenossenschaften in der Deutschschweiz aber auch feststellen, dass diese im Bereich Jugendpartizipation zwar kaum Erfahrungen, wohl aber einige Erwartungen hatten. So versprechen sich vier Fünftel der Antwortenden die Förderung des Zusammenlebens und drei Viertel mehr Solidarität von den Jugendlichen, wenn sie diese partizipieren liessen. Die Bachelorarbeit enthält auch ein paar einfache Empfehlungen: Die Genossenschaften sollten Jugendpartizipation institutionalisieren. Und sie sollten geeignete Kommunikationsformen und -kanäle dafür finden.

Processus interruptus: Erwachsene haben das letzte Wort
Wie ein Prozess auch an etwas scheitern kann, an das niemand gedacht hat, schilderte anschliessend Erika Haltiner. Als Co-Präsidentin von Kraftwerk1 leitet sie das Ressort Siedlungsleben & Vorstandskoordination. In dieser Funktion leitete sie auch den Prozess «Ha! Hardturm auffrischen», bei dem unter Beteiligung der jugendlichen Bewohnenden die Nutzung der Gemeinschaftsflächen neu konzipiert wurde. So hätten sich diese zwar engagiert und gute Ideen ausgearbeitet. Als es dann aber zur Abstimmung darüber kam, welche Projekte realisiert werden sollten, hatten sie gemäss den Statuten der Genossenschaft kein Stimmrecht, was zu grossem Frust geführt habe. Nun macht sich Kraftwerk1 Gedanken dazu, wie sie den Jugendlichen zumindest bei bestimmten Themen und siedlungsintern Mitbestimmungsrechte einräumen kann.

Jugendräume von Jugendlichen für Jugendliche
Laut Tobias Bernt ist die Siedlungsgenossenschaft Eigengrund ganz anders vorgegangen, als es um die Planung und Einrichtung eines Jugendraums im Ersatzneubau Letzigraben ging. Um nicht nach den Jugendraum-Vorstellungen von Erwachsenen Raum zur Verfügung zu stellen, der dann vom Zielpublikum nicht genutzt wird, wurden den an der Mitwirkung interessierten Jugendlichen während der Ideenfindung und Weiterentwicklung durchaus Entscheidungsbefugnisse eingeräumt. Tobias Bernt stellte aber auch klar, dass der Jugendraum am Ende nicht so aussehen muss wie in der Bauphase geplant. Eine Idee entwickle sich weiter, genau wie die Jugendlichen. Auch müsse man in Kauf nehmen, dass «Ordnung» nicht für alle dasselbe sei. Und dass auch die Eltern und die Nachbarinnen und Nachbarn eine gewisse Toleranz entwickeln müssten.

Wohnst du schon oder strukturierst du noch?
Beim anschliessenden kleinen Podium hielt Stefan Weber Aich zunächst fest, dass es vor allem bei Wohnbaugenossenschaften, die Familien ansprechen, einen Kinder- und Jugendlichenanteil von rund 25 % gebe, also kein Weg an ihnen vorbeiführe. Dann wandte er sich mit den Fragen aus dem Publikum an die Referierenden. Zum Beispiel wurde gefragt, ob Genossenschaften der richtige Ort seien, um Demokratie und Partizipation zu lernen. «Wo denn sonst?!», meinte Erika Haltiner, ohne zu zögern. Auch wollte jemand wissen, auf welchen Kanälen – Anschlagbrett oder Whatsapp? – Jugendliche erreicht werden können. Andrej Lehmann meinte, dass nicht das Medium, sondern die Message entscheidend sei. Weiter wurde gefragt, wie Jugendliche bei solch langen Prozessen bei der Stange gehalten werden können. Stefan Weber Aich mutmasste, dass Jugendliche vielleicht nicht zu schnell, sondern die Erwachsenen möglicherweise zu langsam seien, weil sie sich unter einem Prozess immer etwas lang Andauerndes vorstellten. Andererseits zeigt sich da und dort, dass Jugendliche durchaus Durchhaltewillen haben, wenn es darum geht, einen eroberten Raum – zum Beispiel in der Nische einer Siedlung – zu verteidigen. Als die Frage aufgeworfen wurde, ob Genossenschaften fit seien für Trial and Error, die in der jugendlichen Lebensphase bevorzugte Vorgehensweise, konnten sich einige der Anwesenden ein Schmunzeln nicht verkneifen.

Beim Apéro wurde klar, dass das Thema erst angerissen worden ist. Und dass die Wohnbaugenossenschaften – wenn sie von ihren jugendlichen Bewohnenden profitieren wollen, statt sie als Ärgernis wahrzunehmen – ihre Einstellung, aber auch ihre Strukturen überdenken müssen. Ein Erfolgsrezept für alle gibt es nicht. Die Lösungen sind zum Teil so individuell wie die Menschen, die davon profitieren wollen.

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