Wie Adliswil Wachstums- und Erneuerungszyklen in Einklang bringt

Wie die Gemeinden in der Agglomeration mit Herausforderungen wie Bevölkerungswachstum, wachsenden Investitionen, Sozialausgaben und steigenden Mieten umgehen, erfragt der Regionalverband – in dieser Ausgabe in Adliswil beim Stadtpräsidenten Farid Zeroual.

Seit dem Jahr 2000 ist die Bevölkerung von Adliswil um rund 30 % gewachsen.
Wie hat sich das Leben in der Stadt in dieser Zeit verändert?
Adliswil hatte während 40 Jahren eine relativ stabile Situation. Der grosse Entwicklungsschub begann erst 2010. Seither wurde die Stadt sehr viel internationaler und diverser. Sie blieb aber gleichbleibend jung – das Durchschnittsalter beträgt immer noch 41 Jahre, während es in anderen Gemeinden im Bezirk und auch national tendenziell gestiegen ist.

Obwohl sich die Angebotsmieten in Adliswil jenen in Zürich annähern, verzeichnete Adliswil 2023 und 2024 jeweils 10 % Neuzuzüger:innen. Woher kommen diese?
Sie kommen von überall her, auch aus dem Bezirk. Im Vergleich zu den Mieten in den Seegemeinden ist Adliswil immer noch sehr günstig. Es gibt Zuzüger aus Zürich. Und auch für ältere Menschen ist die Stadt attraktiv: Mehr als 5 % der Neuzuzüger sind 65 Jahre alt oder älter. Auch scheinen wir für Familien genug und guten Wohnraum zu bieten. So steigt auch der Bedarf an Schulraum. Adliswil ist im Bereich der schulpflichtigen Kinder überproportional gewachsen. Auch der Anteil der ausländischen Wohnbevölkerung ist in dieser Zeit auf über 40 % gestiegen. Adliswil liegt an der Einfallsachse in den Süden von Zürich, wo Google und andere Tech-Unternehmen ansässig sind. Man ist mit der Bahn, aber auch mit dem Velo schnell in Zürich.

Markt auf dem Bahnhofplatz, im Hintergrund links Bauprofile und rechts eine Sanierung

Stellen Sie in Adliswil einen Verdrängungseffekt fest durch Menschen, die zum Beispiel aus Zürich hierherziehen?
Das ist schwer zu sagen. Es gibt sicher Einzelfälle. Aber es hat wohl mehr mit dem Zyklus einer Gemeinde zu tun. Von 1970 bis 2010 lag die Bewohnendenzahl stabil bei etwa 15’500 Menschen. Wahrscheinlich ist immer noch die Hälfte des Gebäudebestands 50 Jahre und älter, also günstig. Es gibt also Erneuerungsbedarf – mit den heutigen Auflagen und Baukosten. Der neue Wohnraum wird – das haben wir auch bei Wohnbaugenossenschaften festgestellt – teurer, auch wenn man auf eigenem Land baut. Und dies hat vermutlich einen gewissen Verdrängungseffekt.

Als langjähriger Stadtpräsident kennen Sie die Herausforderungen einer solchen Entwicklung. Welches sind die grössten und wie geht Adliswil damit um?
Eine unserer grössten Herausforderungen ergibt sich aus der Nähe zu Zürich. Im Zusammenhang mit dem kulturellen Angebot von Zürich stellt sich für uns die Frage, wie wir die örtlichen Vereine bei ihrer ehrenamtlichen Arbeit – in den Bereichen Sport, Gesellschaft und Kultur – mit Ressourcen unterstützen können, damit sich die Gemeinschaft hier entwickeln kann. Wir stellen Infrastruktur gratis oder kostengünstig zur Verfügung, damit Treffpunkte und Angebote entstehen für die Menschen, die hierher ziehen.

Das Lotti’s – Ein Treffpunkt direkt an der Sihl

Die zweite Herausforderung stellt der Erneuerungsbedarf dar, zum Beispiel in Bezug auf die 50-jährigen Schulhäuser oder das ebenso alte Hallenbad. Damit verbunden die Normenertüchtigung, die Barrierefreiheit und die gesellschaftlichen Veränderungen, zum Beispiel bei den Unterrichtsformen, dem steigenden Bedarf an Betreuungsplätzen über Mittag und bei der Aufgabenhilfe. Der Erneuerungsbedarf bei gleichzeitiger Erhöhung der Kapazitäten hat in Adliswil zu einer Investitionsspitze geführt. Die Pro-Kopf-Verschuldung der Stadt ist zurzeit hoch. Wir orientieren uns an einem langfristigen Finanzplan zum Abbau dieser Schulden.

Ihre Ortsplanrevision soll bis Mitte 2027 abgeschlossen sein. Diese wird die Grundlage für die kommunale Bau- und Zonenordnung. Mit welchem Wachstum rechnet Adliswil?
Der Stadtrat hat ein mittleres Szenario angenommen, bei dem wir bis 2050 mit einem Wachstum von 10 % rechnen. Wir haben 37 % Wald auf dem Gemeindegebiet. Dort wird nichts gebaut. Zudem wurde die Umwandlung einer Reservezone in eine Wohn- und Gewerbezone von der Stimmbevölkerung kürzlich abgelehnt. Der Erhalt dieses Naherholungsgebiets im Letten war ihr wichtiger.
Da Adliswil kaum noch Baulandreserven hat – in der Sunau gibt es noch ein Gebiet, für das nun ein Quartierplanverfahren läuft –, muss das Gemeindewachstum durch Innenverdichtung erreicht werden. Und weil die Investoren dies nicht alles auf einmal realisieren können, rechnen wir mit einem verlangsamten Wachstum, auch wenn wir uns an den Vorgaben des Kantons orientieren.

Die Bevölkerung wird bei der Entwicklung des kommunalen Raumentwicklungskonzepts miteinbezogen. In welcher Form?
Zunächst hat der Stadtrat ein Zielbild skizziert: Dieses beinhaltete die kantonalen Auflagen, aber auch den aktuellen Gebäudebestand und welche Qualitäten wir uns für die Quartiere wünschen. Dies war die Grundlage für eine Online-Umfrage in der Bevölkerung, bei der sich wiederum wichtige Themen – Mobilität, gesellschaftliche Aspekte wie Treffpunkte und Alters- und Familienwohnen, Schwammstadt und Langsamverkehr – herauskristallisiert haben. Danach wurden zwei Stadtwerkstatt-Workshops mit der Bevölkerung organisiert, die von Externen begleitet und moderiert wurden. Die Anregungen und Bedenken wurden aufgenommen, fliessen nun bei der Überarbeitung des Zielbilds ein und werden im November im Rahmen einer Stadtwerkschau präsentiert. Dies wird dann zur Grundlage für das Raumentwicklungs- und -ordnungskonzept und um die Bau- und Zonenordnung zu formulieren.

Bauprofile sind derzeit häufig anzutreffen, sogar beim Bahnhof

Unabhängig von der Stadtwerkstatt ist mir beim wichtigen Thema Wachstum aufgefallen, dass es darauf ankommt, wen man fragt: Während ein Rentnerehepaar, das komfortabel in einer Viereinhalbzimmerwohnung wohnt, findet, es könne so bleiben, suchen Eltern, die gerade ihr drittes Kind bekommen haben, händeringend nach adäquatem Wohnraum. Die einen wollen kein Wachstum, die anderen erachten es aber als dringend notwendig. Das Wachstum führt auch wiederholt zu Diskussionen im Parlament. Der Stadtrat muss bei Gestaltungsplänen mit Aufzonung die Kostenfolgen – Ausbau der Infrastruktur, neue Schulhäuser etc. – abschätzen und sie der Steuerkraft gegenüberstellen, um die Folgen auf den Finanzhaushalt aufzuzeigen.

Der Preis für Bauland hat sich seit 2000 fast verdreifacht. Das erschwert sicherlich die Erstellung von günstigem Wohnraum oder günstigen Ladenflächen … Wird das auch für die Stadt selbst zum Problem?
Im Augenblick verfügen wir über die notwendigen Flächen. Wir haben aber in der Gemeindeordnung festgeschrieben, dass Adliswil kein Land mehr verkaufen darf. Auf der anderen Seite wirken sich die Preise bei den Einnahmen durch die Grundstückgewinnsteuer positiv aus.

Wie soll die kürzlich beschlossene Förderung von Wohneigentum bei einer Mehrnutzung eines Grundstücks umgesetzt werden?
Im Fall einer Aufzonung muss ein Anteil in Stockwerkeigentum erstellt werden. Wir haben jetzt bei einem konkreten Projekt – die Planung dafür ist angelaufen – festgelegt, dass ein Anteil von etwas mehr als 20 % als Eigentum auf dem Markt angeboten werden muss. Heute leben schweizweit in zahlreichen Einfamilienhäusern keine Familien mehr, sondern eine bis zwei Personen. Diese finden häufig keinen altersgerechten und adäquaten Wohnraum. Durch diese Förderung sollen mehr Möglichkeiten für solche Transformationen geschaffen und die Flächennutzung soll optimiert werden.

Ist im Zusammenhang mit der Revision der kommunalen BZO die Anwendung von § 49b ein Thema, mit dem bei zusätzlicher Ausnützung in bestimmten Gebieten ein Mindestanteil günstiger Wohnungen festgelegt werden kann?
So weit sind wir noch nicht. Sobald das Raumentwicklungskonzept erarbeitet ist, werden wir die Art und Weise diskutieren, wie § 49b berücksichtigt werden soll.

Adliswil hat einen aussergewöhnlich hohen Anteil an Einpersonenhaushalten von fast 40 %. Nur in Zürich ist der Anteil mit 45,1 % noch höher. Eine besondere Herausforderung?
Wir haben in Adliswil «flexible Appartements», eine spezielle Form von Wohnraum – Schlafen, Wohnen und Kochen mit verschiebbaren Wänden. Das hat auch dazu geführt, dass wir zahlreiche Einpersonenhaushalte haben. Darunter hat es viele Personen, die temporär hier sind, weil sie beispielsweise ein paar Jahre für Google arbeiten.

Gemäss der Statistik des Kantons Zürich weist Adliswil einen Anteil von 6,3 % an gemeinnützigen Wohnungen aus. Ich zitiere aus einem Antrag des Stadtrats zuhanden des Grossen Gemeinderats betreffend eine Baurechtsverlängerung mit einer Wohnbaugenossenschaft: «In der Vergangenheit hat die Stadt Adliswil äusserst positive Erfahrungen mit der Wohngenossenschaft Heimet und ihren Belegungsvorschriften gemacht.» Wie beurteilen Sie generell die Zusammenarbeit mit gemeinnützigen Wohnbauträgern?
Wir sind gerade dabei, eine Liegenschaft, die die Stadt nicht mehr benötigt, samt Kindergarten im Baurecht an eine Genossenschaft abzutreten. Mit anderen sind wir in Diskussion. Wir haben aber gemerkt, dass wir punkto Belegungsvorschriften genau hinschauen müssen. Uns ist es wichtig, dass eine Leistung, die von der Allgemeinheit mitfinanziert wird, auch jenen Personen zugutekommt, die sie benötigen.

Wäre ein kommunales Vorkaufsrecht – sofern die VKR-Initiative dereinst angenommen würde – für Adliswil ein sinnvolles, zusätzliches Instrument?
Wir haben das im Stadtrat noch nicht abschliessend diskutiert. Aktuell sehe ich keinen grossen Mehrwert für Adliswil. Und es wäre in der aktuellen finanziellen Lage schwierig, Land im Sinne von Reserve zu erwerben. Ein anderes Beispiel als der Wohnraum sind Flächen in Arbeitsplatzgebieten. Es gibt zwar viel leerstehenden Büroraum. Aber kaum günstige Gewerbeflächen. Doch auch dort sehe ich die Stadt nicht als Akteurin. Denn wenn nur einzelne Unternehmen berücksichtigt würden, könnte dies zu einer Verzerrung des Wettbewerbs führen.



Adliswil in Zahlen

19‘835 Einwohner:innen (Stand 2024) – knapp 30 % Wachstum seit 2000
3531 Einwohner:innen oder 17,8 % im AHV-Alter
69,7 % 1- und 2-Personenhaushalte
56,4 % 1- bis 3-Zimmerwohnungen
6,3 % Anteil an gemeinnützigen Wohnungen (598 Wohnungen, Stand 2022)
0,51 % Leerstand 2024
öV: 16 Min. bis Zürich HB (im 20-Minuten-Takt)
Steuerfuss: 102 % (2024)

(Angaben vom Statistischen Amt des Kantons Zürich und den SBB)


* § 49b PBG – 2014 haben die Stimmberechtigten des Kantons Zürich die Ergänzung des Planungs- und Baugesetzes (§ 49b PBG) angenommen, die es den Gemeinden erlaubt, bei zusätzlichen Ausnutzungsmöglichkeiten einen Mindestanteil an preisgünstigem Wohnraum vorzuschreiben. Kommt es künftig bei Teilrevisionen der Bau- und Zonenordnung (BZO) und Sondernutzungsplanungen zu einer Mehrausnutzung und wird diese von der Grundeigentümerschaft konsumiert, so müssen in der Regel auf einem Teil der zusätzlichen Fläche preisgünstige Wohnungen erstellt werden.