Affoltern am Albis: Wohn-Idyll zwischen Zug und Zürich?

Gemäss den Szenarien  und Planungen des Kantons Zürich werden im Jahr 2050 knapp zwei Millionen Menschen im Kanton leben. Darum sollen auch die Gemeinden ausserhalb der Ballungszentren wachsen. Wie sie mit den zahlreichen Herausforderungen wie Mehrverkehr, wachsende Investitionen, steigenden Bodenpreisen, Mieten und Sozialausgaben umgehen, erfragt der Regionalverband – heute in Affoltern am Albis, bei der Stadtpräsidentin Eveline Fenner.

Seit dem Jahr 2000 ist die Bevölkerung der Stadt Affoltern um über 30 % gewachsen.
Wie hat sich das Leben in der Stadt in dieser Zeit verändert?
Es ist urbaner geworden, hat einen Schritt vom Dorf zur Stadt gemacht, im Spannungsfeld zwischen Neuzuzügern und Alteingesessenen. Es ist vielleicht ein wenig anonymer geworden. Wie es sich kürzlich an einem Willkommensanlass gezeigt hat, kommen aber auch Menschen hierher zurück, weil das Leben hier und den Umgang miteinander vermisst haben.
Das Ortsbild ist etwas uniformer geworden. Wo früher Holzhäuser standen, entstehen – angesichts der heutigen Bodenpreise – Häuser mit maximaler Bodenausnutzung. Es gibt auch den Anspruch des Kantons, der sagt, Affoltern soll ohne Zersiedelung einen Teil des Wachstums aufnehmen. Wir haben bereits innerhalb der letzten 20 Jahren in der Bau- und Zonenordnung die qualitative Zentrumsverdichtung berücksichtigt.

Der Siedlungsdruck von Zürich wirkt sich vielleicht weniger auf Affoltern aus. Wie sieht es aber durch die Nähe zu Zug aus?
Der Siedlungsdruck von Zug her ist wahrscheinlich fast grösser als jener von Zürich, obwohl die ÖV-Erschliessung nach Zürich besser ist. Das monieren wir auch als Region beim Kanton und weisen darauf hin, dass man über die Kantonsgrenzen hinaus denken muss. Im Kanton Zug ist die Steuerbelastung zwar sehr niedrig, dafür sind die Mieten aber sehr hoch. Deshalb haben viele, die in Zug arbeiten, ihren Wohnsitz in Affoltern.

Das steuerbare Vermögen der Bevölkerung von Affoltern hat sich in den letzten 15 Jahren verdoppelt. Ziehen wohlhabendere Personen her?
Vielleicht. Natürlich ziehen wir durch die Neubauten eher wohlhabendere Menschen an. Bei teureren Wohnungen muss man ein wenig mehr Einkommen mitbringen. Aber es hat wohl auch mit der Erbmasse zu tun. Denn es ziehen auch viele Senioren hierher. Diese bringen auch Vermögen mit. Affoltern scheint «the place to be» im Alter zu sein.

Lässt sich auch ein gewisser Verdrängungseffekt feststellen?
Der günstige Wohnraum wird weniger. Das hat sicher einen gewissen Verdrängungseffekt. Die kurzen Wege in Affoltern werden von der älteren Bevölkerung geschätzt. Darum kommen sie – zum Teil auch aus steuergünstigeren Gemeinden – hierher. Hier ist alles in Gehdistanz erreichbar – der Grossverteiler, die Post und so weiter.

Affoltern prognostiziert sich selber für die nächsten zehn Jahre ein Bevölkerungswachstum von knapp 10 %. Wo werden – bei einem Leerstand von 39 Wohnungen (2024) – diese zusätzlichen rund 1200 Menschen wohnen? Dafür würden ja mindestens 600 zusätzliche Wohnungen benötigt.
Beim Bahnhof entstehen zurzeit rund 150 Wohnungen. Auch gibt es hier in der Nähe des Stadthauses eine Umnutzung auf dem AWA-Areal und eine auf dem Zena-Areal, wo früher der Sparschäler produziert wurde. Dort bauen Herzog und de Meuron mehrere Gebäude in Holzbau mit rund 90 Wohnungen, Gemeinschaftsräumen und kleinen Gewerbeflächen.
Und wenn jemand sein Einfamilienhaus abreissen lässt – da staune ich immer wieder über die Dimensionen –, wird dieses meist durch ein Mehrfamilienhaus ersetzt.
Für das Gebiet Bahnhof West, das ursprünglich ein Einfamilienhausquartier im Zentrum war, haben wir in der BZO eine grössere Ausnutzung und eine höhere Bauweise vorgesehen.

Im Siedlungsleitbild 2023 steht: «Umzonungen zu Lasten der Arbeitsplatznutzung werden abgelehnt.»
Wir haben kein sehr grosses Industrie- bzw. Gewerbegebiet. Wir wollen – auch im Sinne der kurzen Wege – Arbeitsplätze für Menschen erhalten, die hier leben und arbeiten. (Gefragt zum Verhältnis von Einwohner:innen zu Arbeitsplätzen:) Wir haben rund 6000 Arbeitsplätze bei einer Bevölkerung von etwas mehr als 12 000 Menschen.

Welche Themen werden in der monatlichen «Sprechstunde» an Sie herangetragen?
Alles, was die Menschen auf dem Herzen haben: Sicherheit, Schulthemen, Fragen bezüglich des Altersheims und so weiter. Meist sind es persönliche Anliegen.

Affoltern ist ja ein Sonderfall: Es ist zwar eine Stadt, aber ohne Parlament, sondern immer noch mit Gemeindeversammlung. Warum?
Affoltern war bei der Einführung des neuen Gemeindegesetzes gerade dabei, die Gemeindeordnung zu überarbeiten. In diesem Rahmen hat man der laufenden Entwicklung Rechnung getragen. Auch deshalb, um sich künftig mit den Städten zu Themen austauschen zu können. Wobei wir da schon Unterschiede bemerken, wenn wir uns mit Städten wie Zürich oder Winterthur oder eben mit Bülach unterhalten. Oder wenn ich aus der Stadt Zürich nach Affoltern – in eine Agglomerationsgemeinde – zurückfahre.

Gibt es da trotz der Unterschiede auch gemeinsame Themen?
Ja, natürlich. Das Wachstum und damit einhergehend die ganze Verdichtungsthematik, die Mobilität, die Energieversorgung oder die Massnahmen zur Hitzeminderung.

Der Preis für Bauland ist seit dem Jahr 2000 um den Faktor 2,5 gestiegen. Das erschwert sicherlich die Erstellung von günstigem Wohnraum oder günstigen Gewerbeflächen… Wird das auch für die Stadt selbst zum Problem?
Das ist sicherlich eine Herausforderung. Die Stadt Affoltern hat sich zum Ziel gesetzt, eine aktive Bodenpolitik zu betreiben, um die Zentrumsentwicklung mitbeeinflussen zu können. Wenn also die Gelegenheit besteht, Bauland zu erwerben, dann versuchen wir dies. Der Stadtrat hat – wenn es um den Erwerb geht – auch die notwendige Finanzkompetenz. Aber wir können dies nur im Rahmen unserer finanziellen Möglichkeiten tun.

In Affoltern besteht mit fast 70 % ein sehr hoher Anteil an Ein- und Zweipersonenhaushalten, dem nur gerade 45 % an 1- bis 3-Zimmer-Wohnungen gegenüberstehen. Wird hier nicht dicht gewohnt?
Das ist wohl auch wieder der Demografie geschuldet. Viele Leute wohnen in einem Einfamilienhäuschen. Wenn dann die Kinder ausziehen, bleiben die Eltern in ihrem Haus, weil dieses eben preiswerten Wohnraum bietet. Sie stünden sonst vor der Wahl, ihr Haus zu verkaufen und in eine teure Mietwohnung zu ziehen oder eine eher teure Eigentumswohnung zu kaufen. Zu solch einem Wechsel sind viele nicht bereit. Das hat zur Folge, dass dieser bezahlbare Wohnraum nicht für Familien frei wird.

Gemäss der Statistik des Kantons Zürich weist Affoltern einen Anteil von 5,6 % an gemeinnützigen Wohnungen aus. Wie sieht die Zusammenarbeit mit gemeinnützigen Wohnbauträgern ganz grundsätzlich aus?
Die ortsansässigen Wohnbaugenossenschaften sind schon sehr lange und gut etabliert. Es hat sich aber kaum Neues entwickelt. So gesehen haben wir wenig Kontakt.
Ich weiss aber von der Baugenossenschaft Wohnen im Alter, dass sie eigentlich Kapital hätte und wachsen möchte, dazu aber einfach kein Bauland findet.

Sie haben das Altersheim erwähnt…
Wir haben drei in Affoltern. Eines ist im Eigentum der Stadt, am Altersheim des Bezirks sind wir beteiligt und dann gibt es noch eines mit einer privaten Trägerschaft. Aber eigentlich werden alle drei nicht mehr als Alters-, sondern als Pflegeheime betrieben. Nach der Devise «ambulant vor stationär» erfolgt ein Wechsel heute einfach sehr viel später. Die Menschen wollen und sollen möglichst lange selbstständig leben. Umso grösser ist nachher aber die Umstellung.
Diese drei Institutionen sind ausgelastet. Und wenn sich die Demografie so weiterentwickelt, werden wir ein Problem bekommen.

Um nochmals auf das Thema «aktive Bodenpolitik» zurückzukommen: Wäre ein kommunales Vorkaufsrecht – sofern die VKR-Initiative dereinst angenommen würde – für Affoltern ein nützliches Instrument?
Der Stadtrat hat dazu keine Stellung genommen. Wir sind aufgrund der angesprochenen Finanzkompetenz in der glücklichen Lage, etwas zu erwerben, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Inwieweit ein Vorkaufsrecht dies unterstützen würde, kann ich aber nicht sagen.

Wurde eine Frage nicht gestellt, die Sie aber gerne beantwortet hätten?
Ja, die Frage, wie viel gemeinnützigen Wohnraum es braucht, ist für mich noch offen. Was ist ein guter Mix? Affoltern ist keine reiche Gemeinde und hat eher Bedarf an besseren Steuerzahlenden. Aber grundsätzlich möchten wir den Menschen, die hier arbeiten, auch Wohnraum anbieten können, damit sie kurze Wege haben und ihre Kinder hier aufwachsen können.


 Affoltern am Albis in Zahlen
12 841 Einwohner:innen (Stand 2024) – über 30 % Wachstum seit 2000
2542 Einwohner:innen oder 19,8 % im AHV-Alter
69,3 % Ein- und Zweipersonenhaushalte

44,9 % 1- bis 3-Zimmer-Wohnungen
5,6 % Anteil an gemeinnützigen Wohnungen (333 Wohnungen, Stand 2022)
0,65 % Leerstand 2024
Landpreis m2: CHF 1563.– (Modellmedian, Steigerung um Faktor 2,5 in 25 Jahren)
öV: 28 Min. bis Zürich HB, 16 Min. bis Zug
Steuerfuss: 122 % (2024)

(Angaben vom Statistischen Amt des Kantons Zürich und der SBB)