Ein Blick in die Zukunft der gemeinnützigen Branche

Wohnbaugenossenschaften Zürich erfuhr nach rund fünf Jahren – wenn auch gestaffelt im Mai und im Oktober dieses Jahres – erneut einen Doppelwechsel in der Führung. Andreas Wirz als neuer Präsident und Stefan Schneider als neuer Geschäftsführer blicken erstmals gemeinsam in die Zukunft.

Die Themen «Wohnungsnot» und «Ersatzneubau» dominierten 2023 die Berichterstattung über das nationale Geschehen. Welchen Einfluss hat dies aus strategischer Sicht auf die Verbandsarbeit in den nächsten Jahren?
Andreas: Diese Themen sind ja in keiner Weise neu, aber die Rahmenbedingungen haben sich grundlegend geändert. Man muss sich vor Augen halten, dass bereits in den Neunzigerjahren in Zürich jeden Donnerstagabend die Rufe «Wo-Wo-Woni-ge!» zu hören waren, weil die Erstellung von Büroflächen ökonomisch interessanter war. Bereits 2003 hat unser Verband die Förderstelle gemeinnütziges Wohnen ins Leben gerufen, die unsere Mitglieder für den Ersatzneubau sensibilisierte, damit diese die durch Abwanderung bedrohte Stadt auch für Familien wieder attraktiv machen.

Heute beklagen wir, entgegen der medialen Darstellung, vor allem einen Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Die Abschlussmieten haben sich seit 2005 im Kanton Zürich um 25 % erhöht, in der Stadt Zürich sogar um satte 39 %, wodurch die Bedeutung des von gemeinnützigen Bauträgern erstellten bezahlbaren Wohnraums zunimmt. Damit wir als Branche einen Beitrag leisten können, müssen wir wachsen. Dies können wir entweder mit dem Zukauf von Bauland und Projekten oder durch Innenverdichtung erreichen. Die Baulandverfügbarkeit tendiert aber gegen null und mit dem Ersatzneubau stellen sich vermehrt Fragen der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit. In diesem Spannungsfeld bewegt sich die Verbandsarbeit. Wir engagieren uns vermehrt politisch, lancieren Initiativen, beteiligen uns an Vernehmlassungen und versuchen, damit die Rahmenbedingen und die Baulandverfügbarkeit zu verbessern. Wir stellen aber auch Grundlagen bereit, an deren Benchmarks die tägliche Arbeit gemessen werden kann und welche die Arbeit erleichtern sollen.

Welche Themen und Aufgaben werden darüber hinaus wichtig für den Verband sein?
Andreas: Wir werden im Janu-ar 2024 in der neuen Konstellation des Vorstands eine Retraite zu den strategischen Schwerpunkten der kommenden Legislatur abhalten. Absehbar sind Themen wie die Weiterentwicklung des Dienstleistungsangebots sowie das Zusammenwachsen und die Aufgabenverteilung innerhalb der Geschäftsstellen von Wohnbaugenossenschaften Zürich und Wohnbaugenossenschaften Schweiz am neuen, gemeinsamen Standort. Zudem stehen im Rahmen des politischen Engagements die Begleitung der parlamentarischen Debatte der Vorkaufsrechtsinitiative sowie die Vernehmlassung zur Revision der Wohnbauförderungsverordnung an.

Stefan: Das Thema ESG ist heute in der Immobilienbranche allgegenwärtig. Im Bereich von E (Environment) sind die Herausforderungen bekannt und die Immobilienwirtschaft als einer der grössten Abfallproduzenten (mit 80 % Anteil am Abfallaufkommen) und CO2-Emmitenten (mit 30 %-Anteil am gesamten CO2-Ausstoss) hat eine grosse Verantwortung, die Umweltbelastung zu reduzieren. Hier könnten wir als Verband insbesondere unsere kleinen und mittleren Mitglieder unterstützen, indem wir uns Nachhaltigkeitsziele setzen und diese auch zu erreichen versuchen. Bei S (Social) und G (Governance) sind viele unserer Mitglieder vorbildlich unterwegs und ihre Lösungen für bezahlbaren Wohnraum sowie für die faire Behandlung der Bewohnenden – mit Möglichkeiten der Mitbestimmung – haben eine positive Strahlkraft auf die gesamte Gesellschaft. Aus meiner Sicht liegt ein grosses Potenzial in der Zusammenarbeit mit Playern ausserhalb des gemeinnützigen Wohnungsbaus, um gemeinsam mehr ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltigen Wohnraum zu schaffen.

Andreas, wie schätzt du dieses Potenzial ein und wo siehst du noch zusätzliches Potenzial?
Andreas: In der Zusammenarbeit mit gewinnorientierten Wohnbauakteuren konnten wir in der Manegg in Zürich und in der Glasi Bülach schon gute und grosse Projekte auf den Weg schicken. Auch ich sehe hier zusätzliches Potenzial, indem wir uns als guten und verlässlichen Partner anbieten. Mit dem Finanzierungsmarkt und dem sich in Umsetzung befindlichen städtischen Wohnraumfonds sind wir auch hinsichtlich der Finanzierung gut unterwegs. Potenzial haben wir noch ausserhalb der urbanen Zentren. Dort gilt es, die Vorzüge des gemeinnützigen Wohnungsbaus in die Gemeinden zu tragen.

Der Regionalverband ist nicht nur das Sprachrohr für den gemeinnützigen Wohnungsbau. Er bietet seinen Mitgliedern auch zahlreiche Dienstleistungen an. Welches sind hier die vordringlichen Ziele?
Andreas: Einerseits geht es darum, uns im Bereich Immobilienentwicklung und Akquisition an die veränderten Marktbedingungen anzupassen. Wir haben bereits 2023 eine Strategieerweiterung vorgenommen. Dabei wurde der Fokus auf Bestandsliegenschaften und auf die sich abzeichnenden Portfoliobereinigungen bei institutionellen Anlegern ausgeweitet. Erste Erfolge zeichnen sich bereits ab. Ebenso werden wir uns mit Netz Genossenschaften 2.0 befassen, wo nach der erfolgreichen Lancierung und Implementierung der Fokus auf der Weiterentwicklung des hohen Anteils kleiner Genossenschaften liegen wird. Bei den Grundlagen, z. B. im Bereich der Branchenstatistik oder der Kommission Gesellschaft & Soziales GESKO, wurde in den letzten Jahren wertvolle Aufbauarbeit geleistet, welche es nun weiterzuentwickeln gilt.

Stefan: Die Digitalisierung macht auch vor dem gemeinnützigen Wohnungswesen und unserer Geschäftsstelle nicht halt. Beispielsweise haben wir im Bereich von Netz Genossenschaften spannende Lösungsansätze entwickelt, wie sich standardisierte, sich wiederholende Prozesse in der Bewirtschaftung optimal digital unterstützen lassen. Diese Effizienzsteigerung ist nicht nur essenziell, weil es durch den Fachkräftemangel auch in der Bewirtschaftung an qualifiziertem Personal mangelt, sondern auch, weil so die Bewirtschaftenden mehr Kapazität haben, sich um die Anliegen der Genossenschafter:innen zu kümmern. Im Bereich der Digitalisierung könnte der Verband den Austausch fördern und die Mitglieder beim Kapazitätsaufbau und mit innovativen Branchenlösungen unterstützen.

Und welche wichtige Frage habe ich nicht gestellt, die ihr aber gerne der Leserschaft stellen wollt?
Andreas/Stefan: Es ist bemerkenswert, dass sich so viele Menschen – Bewohnende und Vorstände – in gemeinnützigen Wohnbauträgern mit Herzblut engagieren, obwohl keine grossen finanziellen Anreize dazu bestehen. Die Frage ist also: Wie schaffen wir es, dass die Lebendigkeit, die Innovationsfreudigkeit und die Leistungsbereitschaft unserer Branche eine grössere Anzahl unserer Mitglieder erreicht und wir dadurch an Stärke gewinnen?

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